Duales Studium und Auslandssemester sind nicht zu vereinbaren? Wer hat denn so etwas behauptet? Meine duale Hochschule und mein Arbeitgeber Rittal haben mir mein Auslandssemester in Estland ermöglicht. Wie das in der Praxis aussieht und wie sie mich dabei unterstützen? Im Folgenden erzähle ich es euch.
Ohne Semesterferien studieren
In Deutschland studiere ich an der Technischen Hochschule Mittelhessen, kurz THM, in Wetzlar Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Maschinenbau. Dabei handelt es sich um ein duales Studium, das sich durch die enge Verzahnung von Theorie und Praxis auszeichnet. Konkret heißt das, dass ich während des Semesters an der Hochschule studiere und in der vorlesungsfreien Zeit Praxisphasen im Unternehmen, in meinem Fall bei der Firma Rittal, absolviere. Das Unternehmen gehört zur Friedhelm Loh Group und ist weltweit führender Systemanbieter für Schaltschränke, Stromverteilung, Klimatisierung, IT-Infrastruktur sowie Software & Service. Dank der Wechselseitigkeit von Praxis und Hochschulsemester wird sowohl die optimale Einbindung ins Unternehmen als auch das theoretische Lernen an der Uni gesichert – für mich eine ideale Kombination.
Während andere Studierende also ihre Semesterferien genießen, durchlaufe ich verschiedene Projektpraktika im Unternehmen. Das war es dann wohl mit dem entspannten Studentenleben? Ja, das könnte man so sehen, da ich in den Semesterferien an verschiedenen Projekten arbeite. Aber für mich ist es vielmehr ein Gewinn, denn im Unternehmen sammle ich viele neue Erfahrungen und baue nicht nur meine theoretischen, sondern auch meine praktischen Kenntnisse stetig aus. Zugleich kann ich meine wissenschaftliche Ausbildung unmittelbar in die Unternehmensprojekte einbringen. Dabei hilft mir Rittal vor allem mit Feedbackgesprächen und einer umfassenden Betreuung durch meinen eigenen Mentor. Während der Praktika habe ich bereits viele Abteilungen durchlaufen und so verschiedene Bereiche des Unternehmens kennengelernt, um mich im Arbeitsalltag immer mehr zurechtzufinden. Dadurch eröffnen sich mir zudem vielfältige Perspektiven für meine berufliche Zukunft. Eine Praxisphase konnte ich sogar bei unserem Schwesterunternehmen German Edge Cloud absolvieren. Das Start-up gehört ebenfalls zur Friedhelm Loh Group und ist auf Edge- und Cloud-Lösungen spezialisiert. In der Zeit dort habe ich viel gelernt, das war wirklich spannend.
Warum das duale Studium und ein Auslandssemester nicht im Widerspruch stehen
Das duale Studienmodell hat mich nicht daran gehindert, für ein Semester ins Ausland zu gehen. Zugegeben, es bedarf natürlich mehr Vorbereitung. Um an meiner Wunsch-Uni in Estland studieren zu können, habe ich mich sehr eng mit dem International Office meiner Heimathochschule und meinem Unternehmen abgestimmt. Die Herausforderung im Vergleich zum „normalen“ Studium entsteht durch meine verkürzten Uniphasen, die nicht vollständig mit den ausländischen Semesterzeiten übereinstimmen. So kam es, dass ich an einem Freitag meine letzte Klausur an der THM in Wetzlar geschrieben habe und nur zwei Tage später, an einem Sonntag, nach Estland geflogen bin – pünktlich zum Start des neuen Semesters an meiner Partneruniversität in Tallinn. Ebenso stand ich mit meiner Studiumskoordinatorin bei Rittal stets in engem Kontakt, da ich meine kommende Praxisphase im Unternehmen aufgrund der Länge des Semesters in Estland verzögert antreten werde. Aus Unternehmensperspektive stellt dies jedoch kein Problem dar, denn Auslandsaufenthalte werden von Prof. Friedhelm Loh, Inhaber und Vorstandsvorsitzender der Unternehmensgruppe, umfangreich gefördert – immerhin stärken sie nicht nur die fachlichen, sondern auch die interkulturellen und sozialen Kompetenzen der Nachwuchskräfte.
Hier in Tallinn, Estland, genieße ich jeden Tag und bin dankbar für alle Erfahrungen, die ich machen darf. Die TalTech ist technisch super modern ausgestattet und die Professoren:innen sind sehr inspirierend. Meine Kurse finden zum größten Teil vor Ort statt, wobei natürlich jederzeit Corona-Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden. Da ich Kurse sowohl aus der Fakultät für Wirtschaft als auch für Maschinenbau belege, ist mein Alltag ziemlich abwechslungsreich. Die Kurse sind praxisorientierter als in Deutschland, da die Vorlesungen jeweils von Übungen begleitet werden. Finale Klausuren gibt es hier auch, diese sind allerding nicht wie bei uns in Deutschland mit 100% gewichtet, sondern mit maximal 25%. Ein Großteil meiner Note besteht also aus Gruppenarbeiten, Präsentationen und Abgaben während des Semesters.
Ich entwickle mich hier aber nicht nur fachlich weiter, sondern auch persönlich. Durch den Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt erweitere ich meinen Horizont und freue mich jeden Tag, Neues zu entdecken. In Tallinn verbringe ich oft Zeit in gemütlichen Cafés oder besuche die vielen spannenden Museen der Stadt. Die Zeit am Wochenende nutze ich häufig für Kurztrips, um weitere spannende Orte zu entdecken, zum Beispiel die zweitgrößte Stadt Estlands, Tartu, Riga oder auch Helsinki.
Die Frage, ob ein Auslandssemester auch während eines dualen Studiums möglich ist, ist für mich also unumstritten. Es ist aber nicht nur möglich, sondern lässt sich, mit ein wenig Koordinationsaufwand, auch in die Studienzeiten und -inhalte integrieren. Dabei bietet es mir die Möglichkeit, meinen kulturellen Horizont zu erweitern und mich methodisch und persönlich weiterzuentwickeln. Darüber bin ich mehr als froh und dankbar. Mit Neugier, Mut und Motivation steht einem Auslandsaufenthalt also nichts im Weg. Und ich kann jedem nur empfehlen, diese Chance zu ergreifen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Es lohnt sich!
Ein Beitrag von Cecilia Rentzsch